Porträt im BNN
Werkeinführungen von Festspielhaus-Dozent Dariusz Szymanski sind ein Renner / Vom zahnenden Baby zum „Siegfried-Idyll“.
Die Stühle sind bis auf den letzten Platz besetzt. Im hinteren Bereich des Vortragsraums auf der Ebene 2 des Festspielhauses Baden-Baden stehen die Premierenbesucher. Pünktlich um 17.10 Uhr beginnt Dariusz Szymanski seine zweite Werkeinführung an diesem Abend.
In zwanzig Minuten etwas Interessantes, leicht Verständliches zu Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ zu sagen, ist nicht einfach. Man könnte vielleicht etwas zur spannenden Entstehungsgeschichte erzählen, wie sich Wagners private Situation im Werk widerspiegelt. Szymanski hält sich nicht mit Vorgeplänkel auf. Der Redakteur und Dozent des Festspielhauses Baden-Baden erklärt das ewige Begehren zum Urelement der Welt ‒ und ist gleich mittendrin in der Musik. Den leisen Cellobeginn, der aus den Lautsprechern klingt, zeichnet er mit der Hand nach und lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums auf den Tristan-Akkord. „Was glauben Sie, wie lange es dauert, bis sich diese Spannung löst? Fünf Stunden müssen Sie darauf warten. Erst in den letzten vier Takten, wenn alle tot sind, wird die Dissonanz aufgelöst.“
Szymanskis Werkeinführungen sind einzigartig.
Er spricht nicht distanziert, sondern leidenschaftlich über die Kompositionen. Notizen hat er keine. Mit einfachen Worten erklärt er komplizierte Zusammenhänge. Ein wenig erinnert der 45-jährige Deutsche polnischer Abstammung mit seinem Temperament, dem Tonfall und seiner ausladenden Gestik an Marcel Reich-Ranicki. Und wenn er gemeinsam mit dem Publikum eine Komposition hört und dazu Kommentare und Analysen gibt, dann klingt er wie ein emotionaler Fußballreporter.
Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Szymanski immer weiß, was als nächstes kommt. So gut kennt er die Kompositionen, über die er spricht, weil er die Partituren selbst analysiert und ein herausragendes musikalisches Gedächtnis hat „Ich war schon als Kind ein echter Klassiknerd!“ Mit zehn Jahren kam Dariusz Szymanski nach Deutschland, ohne die Sprache zu können („Diese Distanz hilft mir heute noch beim Umgang mit deutschen Texten!). Seine Eltern hatte nichts mit Musik zu tun. „Wenn ich in meinem Zimmer mal wieder eine Sinfonie oder ein Chorwerk gehört habe, kam mein Vater herein und meinte: ‚Ist hier jemand gestorben?“# Die Musik war mein eigenes Feld. Da hat mich niemand draufgestoßen.“ Er lernt Orgel und Klavier. Vor allem aber bewegt sich Szymanski hörend immer tiefer in die Welt der klassischen Musik. Und vermittelte noch als Schüler sein Wissen bereits an interessierte Zuhörer in Volkshochschulkursen.
Das Musikwissenschaftsstudium in Göttingen und Berlin lief eher nebenher und blieb letztendlich ohne Abschluss. Ständig war er deutschlandweit als Dozent für klassische Musik unterwegs, bis er Werbetexter bei der renommierten Agentur „Scholz & Friends“ wurde. Dort entdeckte ihn Michael Drautz, Geschäftsführer des Festspielhauses, als sich das Haus nach dem schwierigen Start 1998 neu aufstellte. Seit 2003 ist Dariusz Szymanski zuständig für Texte aller Art ‒ vom Werbetext bis zum Programmheftbeitrag ‒ und hält die Werkeinführungen vor den Konzerten und Opernvorstellungen.
Osterfestspiele
Und häufig noch weitere, fünfminütige Impulsreferate vor Sponsoren. Was setzt er bei seinem Publikum voraus? „Nichts. Wer sich auskennt, braucht ja keine Einführung!, antwortet Szymanski trocken. Außerdem sei man immer am Anfang bezüglich der Kunst. Dennoch verwendet er Fachbegriffe wie Exposition oder Sonatenform. „Man muss ja nicht alles begreifen. Wichtig ist das Erahnen. Und wer häufiger zu den Einführungen kommt, der lernt auch etwas dazu.“ Angstfrei soll es zugehen. Und es darf auch gelacht werden. Von der Werbung hat er einiges mitgenommen, zum Beispiel die bildhafte Sprache.
Mozarts Rondo in D-Dur KV 382 erklärt er morgens in der Klassik-Lounge des LA 8 als Brettspiel, die sich virtuos steigernden Variationen als Fitness-Übungen. Die Zuhörer lauschen wie gebannt seinen mit vollem Körpereinsatz unterstützten Ausführungen. Danach sinkt Szymanski erschöpft in den Sessel. Und einige Besucher, die zu Fans geworden sind, stehen Schlange, um noch ein paar Fragen zu stellen. Auch die genialen Kurztexte auf den Blumentaschen, die während der Osterfestspiele aufgestellt sind, stammen aus seiner Feder. Zur Inspiration hat er sich zwei Tage in seine hellhörige Wohnung zurückgezogen. Als das Baby seiner Nachbarin nachts einmal schrie, verarbeitete er dies gleich in einem Text über Richard Wagners „Siegfried-Idyll!: „Helden tragen Schwerter, Väter Säuglinge. Was ist schon ein Drache gegen ein zahnendes Baby?“ Diese Blumentasche habe er seiner Nachbarin gewidmet, erzählt Szymanski schmunzelnd.
Text von: Georg Rudiger; erschienen im Badischen Tagblatt am 24.3.2016